Langsam rinnt die Plörre, die sich Kaffee nennt, meine Kehle herunter. Um mich herum das einschläfernde Rauschen der Triebwerke. Ich fröstel leicht, hier auf dem Flug von New York nach San Francisco. Wie bin ich hier nur gelandet? Ich stehe am Anfang einer großen Reise. Nicht nur um die Welt, sondern auch zu mir selbst. Zumindest glaube ich das. Oder ich hoffe es. Aber was glaube ich eigentlich zu finden? Ein erleuchtetes Ich? Die große Liebe? Oder ein eindeutiges und erfüllendes Ziel im Leben? Und wieso suche ich mich überhaupt?

Am Anfang dieses Fragenkataloges steht meine Beziehung.

Oder besser gesagt ihr Ende. Was für mich eher überraschend kam, wenngleich nicht ungelegen. Dabei gab es keinerlei Unstimmigkeiten. Keine über die man nicht Hinwegsehen hätte können. Größtenteils herrschte tiefe Harmonie. Und unter Freunden waren wir als das Vorzeige-Pärchen bekannt. Man liebte uns, weil man sah, dass Liebe funktionieren kann – auch schon in unserem jungen Alter. Und doch hat all diese Harmonie und dieser Gleichklang nicht gereicht. Nicht für uns. Warum? Vielleicht liegt es daran, dass wir zu jung zusammengekommen sind. Visionen und Wege haben sich in verschiedene Richtungen entwickelt. Wünsche und Vorstellungen an die Zukunft unterschiedliche Gewichtungen bekommen. Sodass am Ende zwar jede Menge Vertrauen und Harmonie blieb, aber nicht mehr der Wille Kompromisse einzugehen. Rücksicht zu nehmen und eventuell mal zu verzichten. Und obwohl ich behaupten kann, dass ich niemals gelogen habe, wenn ich gesagt habe „Ich liebe dich“, so ist es nicht mehr die Liebe, die es einmal war oder in einer Partnerschaft bestehen sollte. So kamen wir ans Ende. Und damit an einen Anfang. 

Doch mit der neu gewonnen Freiheit kommen viele Fragen auf. Habe ich mich jahrelang in festen Händen gewusst und immer auch über meinen Beziehungsstatus definiert, so ist plötzlich alles, an das ich 8 Jahre lang geglaubt hatte, dahin. In Wohlgefallen aufgelöst. Und in dieser Konsequenz ein Reboot meiner ganzen Persönlichkeitsdefinition angesagt. Oder?

Wie sehr bestimmt mein Beziehungsstatus mein Selbst und wie sehr sollte er das?

Ich bin unsicher. Auch wenn ich nach außen hin nicht so wirke. Es ist der berühmte Hund der bellt, weil er keine Zähne hat. Es ist mir ein leichtes mich in Selbstzweifel und Minderwertigkeitskomplexen aufzulösen, mich einer Melancholie über meine Unfähigkeit und mein Schicksal niemals meine Ziele zu erreichen, hinzugeben. Ich zweifle und ich hadere mit mir. Mein Bestes ist nie gut genug. Meine Leistung nie hoch genug und meine Ziele immer in weiter Ferne. Ich vergleiche mich mit Ausnahmetalenten und Glücksfällen und bedauere, dass ich selbst keiner bin. Und während ich nie aufgebe groß zu träumen, so habe ich doch immer diese Angst im Nacken, dass ich nie diese Träume erreiche. Nur meiner Fähigkeit eine erfolgreiche und erfüllende Beziehung zu führen, der war ich mir immer sicher.

Liebevoller, intelligenter Partner gefunden. Check.

Harmonie, gemeinsame Interessen und nie enden wollender Gesprächsstoff. Check. Gemeinsame Wohnung. Check. Der Rest läuft dann auf Autopilot. Ein paar Jahre zusammen wohnen, am Ende des Studiums verloben, nochmal in eine andere Stadt ziehen oder etwas anderes „wildes“ machen, heiraten, sesshaft werden, und wenn sie nicht gestorben sind… Check. Zurück zu meinen eigentlichen Problemen.

Aber vielleicht war genau dieser Autopilot-Gedanke der Ursprung unseres Scheiterns. Oder genau dieses Festhalten, dieses Definieren über die Beziehung. Oder ganz anders herum: Vielleicht sind meine Zweifel darin begründet mir niemals genug Zeit für mich und nur für mich genommen zu haben, für meine eigene Persönlichkeitsentwicklung. Für MEINE Träume. Ohne Kompromisse. Ganz egoistisch. Vielleicht aber hat auch all das mit nichts zu tun. Vielleicht ist alles wie es ist und ich bin wie ich bin und die ewige Suche nach einem geerdetem ich, einer Definition meiner Selbst ist komplett hinfällig und schwachsinnig. Denn schließlich ist das Leben nicht statisch, sondern eine Summe der eigenen Erfahrungen und Erlebnisse. Keiner ist morgen mehr der, der er gestern war, weil heute passiert. Aber das versuche ich jetzt herauszufinden.

Und so sitze ich hier, tausende Meter über der Erde und gehe die ersten Schritte in einem meiner größten Träume.

Ein Traum, von dem ich nicht gedacht hätte, dass er in näherer Zukunft wahr wird. Und den ich mit jeder Faser meines Körpers spüren und erleben will. Auch jetzt zerfressen mich die Selbstzweifel. Die Orientierungslosigkeit in meinem Leben bereitet mir nach wie vor Kopfschmerzen. Und noch nie konnte ich so schlecht auf die Frage antworten: Wer bin ich? Aber ich habe den ersten entscheidenden Schritt getan. Ich habe mir diese Fragen gestellt. Und jetzt bin ich auf der Suche nach den Antworten.

PS. Beim abermaligen Lesen dieser Zeilen habe ich mich dabei ertappt, wie ich es schon wieder tue.

Noch während ich am Beginn meiner Weltreise stehe, sogar wörtlich aufschreibe, dass es einer meiner größten Träume ist, währenddessen schreibe ich gleichzeitig nieder, wie wenig ich an mich selbst glaube. Das nächste Ziel ist schon wieder in (un-)erreichbarer Nähe und ich vergesse für das aktuelle Ziel dankbar zu sein. Ganz nach dem Motto: Been there, done that. Check. Vielleicht ist diese Erkenntnis schon die erste Antwort auf meine Fragen. Oder zumindest ein Hinweis.