Kolumne des Monats: Altern
Jeden 1. Sonntag im Monat erscheint ab jetzt eine Kolumne mit einem Thema, welches mich beschäftigt. Achtung: Überspitzte Formulierungen.
Ein Thema mit dem ich mich jetzt seit ca. einem Jahr beschäftige. Vor einem Jahr bin ich auf den 25er zugesteuert. 25. In meinem jugendlichen Kopf war Mitte 20 immer das Ende meiner Jugend. Dann hat man diesen Schritt gemacht und dackelt auf die 30 zu. Das Rad dreht sich immer schneller. Das merke ich nicht nur daran, dass ich mittlerweile länger Scrollen muss, um mein Geburtsjahr auszuwählen.
Der Verfall beginnt.
Ich merke es auch körperlich. Die Fältchen rund um meine Augen werden tiefer und permanent. Eigentlich finde ich diese kleinen Fältchen süß. Aber wo soll das mal enden, wenn sie sich jetzt schon langsam aber sicher eingraben. Der Grand Canyon war auch mal ein Bach…
Der Kater ist ebenfalls zu einem Löwen herangewachsen. Denn im Gegensatz zu früher sterbe ich jetzt immer einen Heldentod. Und das nicht nur ein paar Stunden. Ich bin im Stadium eines 2-Tages-Katers angekommen. Bis jetzt habe ich immer nur Geschichten davon gehört. Aber es gibt ihn wirklich. Ich habe ihn gesehen. Und gespürt.
Außerdem habe ich mir einen festen Internetanschluss zugelegt. Klingt nicht dramatisch? Hat aber etwas in mir ausgelöst. Ich werde sesshaft. Mit meinem mobilen Steckdosen-Router bin ich die letzten Jahre von Wohnung zu Wohnung getingelt. Rein in die Steckdose, Internet. Wann und wo immer ich will. Was braucht man mehr? Tja. Ich tingle nicht mehr so viel. Ich bin sesshaft. Wortwörtlich, so viel wie ich vom Tag auf dem Hintern verbringe. Der wird auch immer breiter.
Ich kann nicht mehr bei „Teenager werden Mütter“ mit machen. Es würde einfach niemanden jucken, wenn ich schwanger werden würde. Sehr normal in meinem Alter. Um mich herum fangen gerade alle das Heiraten an. Neulich kam kurz das Thema „Wohnung kaufen“ auf. Und ich sitze hier, schweigend in meiner Ecke, verstehe nicht, wovon die Leute reden und versuche mir krampfhaft mit Cremes und Jaderoller die ersten Anzeichen meines Niedergangs aus dem Gesicht zu bügeln.
Es mag überspitzt klingen und das ist es auch.
Dennoch hat mich das Thema Altern sehr beschäftigt und getroffen. Wo war nochmal die Notbremse? Der Kelch zu ewiger Jugend und Schönheit? Und warum ist mir das alles so wichtig? Meine Mutter ist mit bestem Beispiel vorangegangen. Keine falsche Eitelkeit, Altern hat immer schon dazu gehört. Nur als der Step über die 60 gemacht wurde, kam mal ein „Etwas komisch ist das jetzt schon“. Darf man dann auch. Von ihr kann es also nicht kommen, dass mich das Altern so fesselt.
Das Thema ist so komplex.
Seit jeher tüfteln die Menschen am Rezept für ewige Jugend, knallen sich Nervengift ins Gesicht, schnippeln an sich rum und detoxen was das Zeug hält. Von den Plakaten dieser Welt grinsen jugendliche und makellose Gesichter. Forbes zeichnet 30 unter 30 aus. Studien belegen, dass junge und vitale Menschen erfolgreicher sind. In den Zeitungen liest man von Altersdiskriminierung und Altersarmut und am Stammtisch fallen Sprüche wie „Männer werden im Alter schöner, bei Frauen ist ab 30 Schluss.“ Die Drogerien sind übersät mit Produkten für Best Ager, Anti-Aging, Slow-Aging und hastenichtgesehen. In den Zeitschriftenläden liegen Magazine mit dem Titel „Schminken Sie sich jung!“. Das Leben scheint vor den 30ern abzulaufen, danach gehörst du zum alten Eisen und rostest unbemerkt vor dich hin.
Dass das alles nicht stimmt, ist mir schon klar.
Und trotzdem ist der Druck groß. Für uns alle. Schon von klein auf wurde uns gesagt: „Die Jugend ist die Zukunft, IHR seid unsere Zukunft.“ ‚Geil!‘, dachten wir und lehnten uns zurück, unsere plötzlich errungenen Macht genießend. Little did we know. Soll ich euch etwas verraten? Die Zukunft ist jetzt! Für mich ist es Hier und Jetzt und ich werde mir meiner Verantwortung bewusster und bewusster. Mein kindliches Ich wusste nicht, dass sich die Zukunft nämlich nicht von alleine gestaltet. Es muss was getan werden, um den Ansprüchen gerecht zu werden. Den eigenen, denen der Familie und Freunde und den Ansprüchen der Gesellschaft.
Und während sich gerade die nächste Generation unwissend in ihrer neu errungenen Macht der Zukunft sonnt, dreht sich das Rad unaufhörlich weiter und ich versuche im Vorbeifliegen Persönlichkeitsentwicklung, Karriere, soziale Kontakte und soziale Verantwortung unter einen Hut zu bekommen, die Allgemeinbildung nicht zu vernachlässigen und auch noch Zeit für den Moment zu haben. Und was geht mit all dem einher? Verpasste Chancen. Und die Angst davor.
Denn Altern ist viel mehr als eine schlaffe Haut und Haarverlust.
Während man altert, wird der Weg, auf den man zurückschauen kann, immer länger und länger. Und seinen Rand säumen Siegesfeste und positive Erinnerungen direkt neben den Leichen der verpassten Chancen. Je länger man diesen Weg läuft, desto klarer wird das Ziel am Ende. Und immer mehr Abzweigungen zu anderen Zielen, liegen hinter einem und werden nicht mehr erreicht. Unsere Aufgabe ist es, einen Weg zu finden, der zu einem Ziel führt, an dem wir uns umdrehen und zufrieden auf den Weg zurück blicken können. Doch ob wir dieses Ziel erreichen, das stellt sich nunmal erst am Ende heraus. Und bis dahin bleibt immer diese leichte Ungewissheit, ob wir nicht doch die andere Abzweigung hätten nehmen sollen.
Ich habe keine Lösung.
Keine Lösung für meine Ängste, für den Druck von außen und auch keine Lösung, um den Verfall aufzuhalten. So sehr es mir widerstrebt, kann ich die Zeit nicht anhalten, manche Dinge nicht ändern. Was ich ändern kann, ist meine Einstellung zum Altern. Und während das Thema allgemein auch in der Industrie und Gesellschaft mal dringend einen Relaunch bräuchte, so liegt es doch an mir den ersten Schritt zu machen. Denn am Ende des Tages kommt es doch immer darauf an, was man daraus macht. Die Aufgabe von jedem einzelnen ist es, nicht das Altern zu verneinen, es zu ignorieren oder zu versuchen es rückgängig zu machen. Sondern den Weg zu finden, der einem individuell am besten passt, der einen glücklich macht. Und den wir zum eigentlichen Ziel erklären.
9 Comments
Wolfram D. von Tschak Boom Boing
6 Jahren agoIch finde Deinen Blog Post bestürzend. Persönlichkeitsentwicklung, Karriere, soziale Verantwortung? Das sind Schlagworte, die in meinem Leben mit 25 nun mal wirklich keine Rolle gespielt haben. Leben als Sonderfall von Projektmanagement? Ohje. Wo bleibt denn da die Lust?
Jetzt bin ich 38, also schon fast 40. Kann schon lange keine Nacht mehr durchsaufen, Rauchen bringt mich nicht innerhalb eines Lebens sondern gefühlt innerhalb von Minuten um. Klar, als Mann meiner Generation muss ich mich nicht verpflichtet fühlen, Beauty-Gedönse zu kaufen, das mag den jüngeren Kerlen nun auch anders gehen.
„Sind Fußballspieler jünger als du, ist es dann vorbei?“, fragt Lukas Meister in einem Lied.
Nein, es ist nur anders. Man sollte immer versuchen, zu machen, auf was man Bock hat. Am Besten auch als sogenannte Arbeit. Das hält jung im Kopf. Blicke ich zurück bis 25, dann bereue ich vielleicht, dass ich das unterwegs eine Zeit lang aus den Augen verloren habe. Und irgendwann kriegt man nicht nur Falten, man kriegt eine labbrige Bandscheibe, einen fetten Ranzen, oder einem fallen die Beißer raus, der Rücken ist verspannt, und bevor man recht kuckt hat man eine Depression, einen Tumor, oder sonst nen Scheiß. Daher: Gesundheit, seelisch und körperlich, darauf achten. Und öfter mal was Neues machen. Und die Falten? Für wen willst Du schön sein? Für Modemagazine, in denen Models mit 21 zu alt sind? Oder für Dich und vielleicht einen Partner, der gehauso Falten kriegt?
Dorie
6 Jahren agoLieber Wolfram,
danke für deinen ausführlichen Kommentar.
Du hast absolut Recht, dass man das Leben genießen sollte und vor allem auf sich selbst achten 🙂
In unserer Generation ist das Leben allerdings wirklich zum Projektmanagement geworden, das war früher etwas anders, wenn ich auch den Erzählungen meiner Eltern lausche. Der Druck heute ist scheinbar wesentlich größer.
Aber ansonsten kann ich dir nur beipflichten: Man sollte sich fit halten, das Leben genießen und etwas machen, woran man Spaß hat. Daran arbeite ich zum Glück schon 🙂
Liebe Grüße und ein schönes Wochenende!
Oli
5 Jahren agoInteressant, denn ich habe den Text überhaupt nicht wie Wolfram gelesen. Übers Altern und mehr noch über die eigene Vergänglichkeit machen wir uns vermutlich alle Gedenken. Mit 25 sind das die ersten Falten, mit 45 vielleicht der Cholesterinspiegel und mit 65 die Gewissheit, dass man nicht mehr viel Zeit hat.
Aber die Frage ist doch, worüber man sich definiert. Je älter man wird, desto weniger wichtig werden bestimmte Dinge. Als Mann mittleren Alters kann ich meine 100.000 Follower mehr auf Instagram bekommen. Zumindest nicht mit Fotos von mir. Aber die Lebenserfahrung (und in meinem Fall wohl vor allem die Reiseerfahrung) sind auch etwas wert, über dan man eine externe Bestätigung bekommt.
Was mich bei der jüngeren Generation oft etwas irritiert, sind die strengen Massstäbe an die Selbstoptimierung. Da gehen fast alle ins Fitnessstudio, absolvieren diese und jede Weiterbildung. Und wenn sie Aussteiger werden wollen, dass ist Online-Enterpreneur das Ziel und nicht Hippietum oder so. Ich glaube, da bauen sich viele selber einen Druck auf, der eigentlich gar nicht mötig wäre.
Milli
6 Jahren agoIch habe mich gerade so wieder gefunden in deinem Text. Die Zeit rennt einfach viel schneller als noch vor 10 Jahren … Neulich habe ich auch noch das gleiche gedacht als mal wieder auf den dafür bekannten Sender eine gewisse Sendung lief: „Du bist jetzt echt zu alt um „Teenie-Reality-Star“ zu werden …“ Und auch die Sache mit dem 2 – Tage-Kater kenne ich nur zu gut … Der Lack ist ab … Da ging es neulich wirklich runter wie Öl als ich beim Einkauf im Getränkemarkt nach nach meinem Ausweis gefragt wurde …
Liebe Grüße, Milli
(https://www.millilovesfashion.de)
Dorie
6 Jahren agoEs ist witzig, denn alle Älteren lachen über unsere Sorgen, aber ich merke, dass das Thema doch omnipräsent für unsere Altersgruppe ist.
Es freut mich zu hören, dass ich nicht alleine damit bin, haha 😀 Aber wir machen sicher das Beste draus und lachen dann in ein paar Jahren über die jüngeren, wenn sie sich denken „Oh, ich bin alt!“ 😀
Liebe Grüße und schöne Woche!
Tom
6 Jahren agoOMG du und altern, was soll dann ich mit meinenn 66 dazu sagen?
Lass dir Zeit, take your time,wie es in einem schönen Song heißt!
Jede Zeit hat ihre Besonderheiten, also auch diese und Deine!!!
Nur die Ruhe, Alter ist keine Schande sondern ein Verdienst. Denn
nicht jeder wird „Alt“!
Viele Grüße und bitte mehr Beiträge in der Art zum Nachdenken,
Tom
Dorie
6 Jahren agoVielen Dank für deine Worte 🙂
Klar, dass es aus deiner Perspektive etwas lächerlich erscheint, dass ich mir Gedanken darüber mache. Aber ich merke, dass ich in meiner Altersgruppe nicht die Einzige bin, die das Thema beschäftigt. Mit 66 werden wir dann alle gemeinsam laut darüber lachen.
Dass das Altern ein Verdienst ist, finde ich eine sehr schöne Einstellung! So hatte ich das noch nicht betrachtet.
Liebe Grüße!
Reni E.
6 Jahren agoLiebe Dorie,
ich bin sehr beeindruckt von diesem Beitrag! Aber trotzdem musste ich mit meinen 67 Jahren ein wenig schmunzeln, dass du mit 25 solche Ängste vor dem Altern hast und von ´Verfall` sprichst. Wer nicht altern will, will auch nicht leben. Pfeife doch auf den vermeintlichen Druck der Schönheitsindustrie. Die wollen doch nur verkaufen. Helfen tut nämlich nichts. Aber einen Tipp möchte ich dir trotzdem geben: Benutze IMMER einen Sonnenschutzfaktor! Das habe ich leider versäumt.
Liebe Grüße
Reni
Dorie
6 Jahren agoLiebe Reni,
vielen Dank! Klar, der Beitrag ist natürlich sehr überspitzt formuliert, um es zu verdeutlichen. 🙂
Das mit dem Sonnenschutz mache ich tatsächlich seit ein paar Wochen, man hört ja immer mehr, dass es helfen soll.
Wer nicht altern will, will auch nicht leben – finde ich ein super Motto!
Ich wünsche dir einen schönen Sonntag.
Liebe Grüße